“Ganz wichtig: bitte nach jeder Theoriestunde die Stühle und Tische auf der Terrasse wieder ordentlich hinstellen, nicht auf dem Hotel-Parkplatz parken und den Steg nur zum ein- und aussteigen ins Dingi nutzen und nicht darauf sonnen. Und bitte betretet auf gar keinen Fall das kleine Stück Rasen hier vorne! Das ist den Hotelinhabern nämlich heilig...” Wir Kursteilnehmer nicken verständnisvoll und zwinkern uns zu, klingen die Regeln doch etwas spießig. Nicos Verbots-Briefing zeigt uns, dass wir wieder im deutschen Kulturraum sind und könnte keinen stärkeren Kontrast zur Latino-Kultur darstellen, wo Regeln wenn überhaupt nur als grobe Orientierung gelten. Sonnengebräunt und mit einem geschäftsmäßigem Lächeln auf den Lippen, heißen er und Julie uns bei Gardasurf & Sail willkommen, wo wir in den nächsten Tagen Segeln lernen wollen.

Kontrastprogramm haben wir schon in der Unterkunft erlebt: im Casa Gagliardi in Brenzone sind wir auf deutsch begrüßt worden. Für uns absolut ungewohnt, wo wir ein Jahr lang mit allen Einheimischen Englisch oder Spanisch gesprochen haben. Von unserem Gastgeber erfahren wir, dass 90 Prozent der Touris am Gardasee aus Deutschland kommen. Da wir noch nie hier waren, war das uns nicht bewusst. Ebenso wenig wie die Schönheit des Gardasees, die wir bereits in Desenzano del Garda von einer Burg aus bestaunt haben. Als wir am Vortag an der Uferpromenade des Lago d’Iseo (eine Stunde westlich des Gardasees) spazieren waren, um gegen den Jetlag anzukämpfen, waren dort nur Italiener. Und mit unserer Gastgeberin Beatrice haben wir im schnuckeligen Lombardei-Dörfchen Cenate Sotto noch Spanisch gesprochen. Jedenfalls genießen wir die Vorzüge, die Europa zu bieten hat: milde Temperaturen statt schwüler Hitze, nächtliche Ruhe, trinkbares Leitungswasser und kaum Kleinkriminalität. Als Restaurantgäste ihr Handy auf dem Tisch liegen lassen, um ein paar Meter weiter ein Foto zu machen, gehen bei uns unbewusst die Alarmglocken Lateinamerikas an…

Zurück zum Segelkurs. Unsere Mitstreiter sind Marscha und Gabor aus Zürich, wobei sie aus Weißrussland und er aus Ungarn stammt, sowie Angelika und Peter, ein Seniorenpärchen aus Deutschland. Unsere Ausbilderin Amélie ist die Jüngste im Bunde und hat im Studium ihre Leidenschaft zum Segeln entdeckt. Nachdem sich Gabor zum Windsurfen verabschiedet hat, heißt es für uns erst einmal, die Sprache der Segler lernen. Von ablandigen Winden über Palstek, Fock und Genua, killenden Segeln, Persenning, Schäkel und Schot bis hin zu Wanten klingt mehr fremd als vertraut. Nach einer Theorieeinheit zu Windkunde und Ablegemanöver tuckern wir im Dingi zu unserem Kielboot und machen uns mit den einzelnen Teilen und deren Aufbau vertraut. Endlich sind die Segel gehisst und es heißt: Leinen los!

Klar zur Wende? - Ist klar! - Ree! Während wir über das Wasser rauschen und das Freiheitsgefühl genießen, lernen wir von Amélie jede Menge Segel-Jargon. Wir wechseln uns am Steuer ab und sind überrascht, wie schnell das kleine Segelboot auf die kleinsten Steuerimpulse der Pinne reagiert - viel schneller als die großen Katamarane, auf denen wir bisher gesegelt sind. Wir fahren mehrere Wenden und üben ein paar An- und Ablegemanöver. Abends sind wir platt vor lauter Input und Jetlag.

Weiter geht es Tags darauf mit dem Aufschießer, bei denen wir gegen den Wind an einem Fender halten, den wir als Boje nutzen. Unsere Manöver klappen inzwischen schon ganz gut. Nur Marscha und Angelika verwechseln beim Steuern ab und zu noch Back- und Steuerbord. Am Mittwoch teilen uns auf zwei Kielboote auf, wodurch jeder von uns mehr Steuererfahrung sammeln kann. Für frischen Wind sorgt Bernhard - in dem Fall kein Tiefdruckgebeit, sondern ein Segellehrer aus Wien, der ein paar Tage zum Probearbeiten hier ist. Quietschfidel und immer mit einem flotten Spruch auf den Lippen ist der Nachmittag mit ihm und Marscha schön kurzweilig. Schade nur, dass wir so wenig Segelzeit haben. Der Aufbau des Boots hat nämlich ewig gedauert, da das Segel schlecht verpackt und die Unterliek des Großsegels nicht richtig im Baum verankert war, woraufhin Nico ziemlich arrogant Hilfestellung gab… Egal. Eigentlich sollen wir das Mann-über-Bord-Manöver mit einer Boje üben, aber da wir so spät auf den See hinaussegeln, fahren wir nur einige Wenden. Bernhard ist ein segelerfahrener Lebenskünstler, der begeistert von einem Ökodorf berichtet und uns nebenbei ein paar wertvolle Tricks beibringt. Wie man die Windrichtung für die Ausrichtung des Kurses am Verklicker ablesen kann, also an einem kleinen Windfähnchen oben am Segel. Oder die Eselsbrücke, dass Ree für „Ruder auf Lee“ steht.

An den Abenden erfrischen wir uns am kleinen Steinstand nahe unserer Unterkunft im See. Obwohl er sich für uns überraschend kühl anfühlt, ist der Gardasee mit 25 Grad für Ende Juni unnatürlich warm, wie wir von den Einheimischen erfahren. Die starke Strömung Richtung Norden erinnert fast an eine Gegenstromanlage. In der Nähe erkunden wir die mittelalterlichen Stadtkerne von Malcesine und Castelletto. Wie wir feststellen, ist es in Italien gar nicht so einfach, vegetarische Gerichte zu finden, die keine Beilagen sind (von veganem Angebot ganz zu schweigen). Unser Mietwagen, ein Citroen C3, hat schon bessere Tage gesehen. Er driftet zur Seite, ist nicht voll getankt gewesen und ein Warnlämpchen zeigt an, dass etwas mit dem Reifendruck nicht stimmt. Was vermutlich an dem Nagel im Reifen liegt. Uns stört das nicht weiter. Stattdessen feiern wir den Schnäppchenpreis – 6 Euro pro Tag (!) - und taufen die Kiste in Anlehnung an sein Nummernschild “Orci”.

Hinauf in den Hortus Europae - von 90 auf 1.760 Meter über Null geht es mit der Seilbahn von Malcesine zum Monte Baldo. Richtung Norden beobachten wir, wie Paraglider ihren Flug starten und die ersten Runden Richtung See drehen. Richtung Süden spazieren wir durch eine beeindruckende Berglandschaft, wo auf Alpenwiesen bunte Bergblumen blühen und süße Lämmer grasen. Ein toller Ausflug in eine gänzlich andere Landschaft, und das nur ein paar Höhenmeter entfernt.

39 Grad. Fast Flaute. Am letzten Übungstag vergehen wir gefühlt in unseren Schwimmwesten, die für uns Segelschüler obligatorisch sind, während Bernhard seine salopp auszieht, sobald wir außer Sichtweite der Segelschule sind. Wie in Zeitlupe üben wir die Q-Wende, um Boje-über-Bord ein ums andere Mal zu retten. Eigentlich stand an dem Tag offenbar auch die Halse auf dem Übungsprogramm, aber Bernhard interessiert viel mehr Marschas Meinung zur kommunistischen Zeit Russlands. Er ist schon ein witziges Kerlchen, nur manche seiner Witze und Anspielungen wie über Hitler sind schon grenzwertig. Marscha hat wenig Lust, über Kommunismus zu philosophieren, sondern würde sich lieber auf dem Verbotenen Steg sonnen. Später verabschieden wir uns neben dem Heiligen Rasen von Bernhard, der am Abend zurück nach Österreich reist. Am Abend heißt es dann, für die Prüfung büffeln.

Was ein Wind! Am Prüfungstag herrscht plötzlich Windstärke 4. Bei solchen Windverhältnissen sind wir noch nie gesegelt, noch dazu haben wir aus unerfindlichen Gründen ein deutlich größeres Vorsegel (eine Genua statt einer Fock) verpasst bekommen, das sich schwerer handhaben lässt. Entsprechend anders ist das Segelerlebnis: bei hohem Wellengang und pfeifendem Wind rauschen wir immer schneller übers Wasser, wobei das Kielboot immer stärker krängt (also Schräglage hat). Was tun? Wir sind erstmals ohne Segellehrer an Bord. Auf gut Glück holen wir das Großsegel dichter, woraufhin wir noch schneller werden und schräger im Wasser liegen … Bis Amélie uns mit dem Motorboot einholt und uns zuruft „Großsegel fieren!“ Puh! Max fährt sein Prüfungsmanöver trotz der widrigen Umstände ganz passabel. Anna und Marscha sind von den Böen so eingeschüchtert, dass wir den Plan ändern. Wir bekommen wieder das kleine Vorsegel, das den heutigen Windverhältnissen besser entspricht, und Amélie kommt nochmal mit an Bord. Zumal wir die kompliziertere Halse mit Bernhard irgendwie nicht geübt haben. Unter Amélies Aufsicht klappen die Manöver dann ganz gut.

Nachmittags ist der Wind schwächer, sodass wir nochmal ohne Amelie alle Manöver durchexerzieren und vorführen können. Nur bei Marscha sind sie manchmal noch etwas unberechenbar und wir müssen aufpassen, dass der umschwenkende Baum uns nicht am Kopf erwischt. Zwischendurch haben wir unsere Theorieprüfung erfolgreich abgelegt. Auf den Stühlen des Hotels, die wir danach wieder ordnungsgemäß arrangiert haben, versteht sich. Als wir die Zertifikate unseres Segelgrundscheins bekommen, trauen wir unseren Augen kaum: der Heilige Rasen wird doch tatsächlich mit einer Schere geschnitten. Kein Witz, Anna hat ein Beweisfoto gemacht. Und wo wir schon dabei sind, machen wir gleich noch ein Gruppenfoto auf dem Verbotenen Steg. Bäm!

Und hier noch ein paar weitere Impressionen: