“¡Gol!” - Tor für Kolumbien! Überall in Cartagena Jubelschreie und trötende Vuvuzelas. Geschossen hat das Tor gerade ein Sohn der Stadt, wie uns eine der ausgelassenen Kellnerinnen im Beyrú stolz erklärt. Hier lassen wir uns gerade Maniok-Tortillas und Corozo-Saft schmecken, der an Rote Grütze erinnert. Kurz darauf ein weiteres Tor. Und so schlägt Kolumbien Argentinien 2:0 im ersten Gruppenspiel des Copa America. Wir erleben die Kolonialstadt an der Karibikküste im Siegestaumel, als wir abends durch die beleuchteten Gassen des Kolonialstädtchens spazieren.

Im hippen Stadtteil Getsemaní liegt unsere Unterkunft in einem besonders kunstvoll gestalteten Gässchen: voller ozeanischer Straßenkunst ist die Calle de San Juan und das Hotel Leyendas del Mar rundum im Stil von Meereslegenden dekoriert. Die Museen der Stadt könnten kontrastreicher nicht sein. Der Palacio de la Inquisición porträtiert einerseits die Gräueltaten der Spanischen Inquisition, die Tribunale in Cartagena einsetzte, andererseits auch die Besiedlungsgeschichte Kolumbiens und die unterschiedlichen indigenen Völkergruppen. Im Choco Mueseo besteht die quirlige Leo darauf, dass wir das riesige Sortiment kosten: weiße Schokolade, solche mit 100% Kakao, Kakao-Nibs, Schoko-Tee, ein Mais-Schoko-Getränk namens Mazato, das uns an Pinolillo aus Costa Rica erinnert … Als wir den Schoko-Schock halbwegs verdaut haben, gönnen wir uns auf der Süßigkeiten-Gasse, dem “Poral de los Dulces” die lokale Spezialität Cocados - immens süße Kokosraspel-Bällchen mit Panela. Das reinste Schlemmerparadies für Zuckerliebhaber.

“Cinco, seis, siete ...” Spontan nehmen wir eine Einzelstunde bei Crazy Salsa, wo Mayra uns in den kolumbianischen Salsastil einführt, der um einiges zügiger ist als sein kubanisches Pendant. Weil es so schön war, kommen wir ein paar Tage später zur Gruppenstunde. Wieder sind die Tanzlehrer ganz von ihren Smartphones eingenommen, während sie auf Kundschaft warten. Da außer uns niemand kommt, bekommen wir wieder eine Einzelstunde und lernen bei Estefania Promenaden und eine Doppeldrehung. Ähnlich wie der intensive 1:1-Spanischkurs in Guatemala sind auch die Salsa-Einzelstunden sehr effektiv und fordernd. Locker und ausgelassen ist die Stimmung dagegen in einer weitere Gruppenstunde, an der noch eine Gruppe afrikanischer Frauen in langen Gewändern und ein französisches Paar teilnehmen und wir hauptsächlich in Reihen tanzen.

Unter einem Sonnendach zusammengepfercht warten wir mit einer Masse von Touristen darauf, einem Boot zugeteilt zu werden. Einzeln rufen die Bootsführer unleserliche - und scheinbar unaussprechliche - Namen von ihren Listen auf und wuseln dabei hektisch umher. Wieder einmal herrscht ein unüberblickbares Chaos. Wieder einmal wirkt es so, als würden die Tourismusbeschäftigten zum ersten Mal einen solchen Vorgang über die Bühne bringen. Wieder einmal haben wir etliche Ideen, wie man hier ganz einfach einen effizienteren Ablauf schaffen könnte - und fühlen uns dabei sehr deutsch. Gehört doch das unorganisierte Tohuwabohu irgendwie untrennbar zur lateinamerikanischen Kultur dazu. Noch ahnen wir nicht, dass wir nach unserer Rückkehr in Deutschland einen Kulturschock in unserer von Effizienz und Erfolg getriebenen Leistungsgesellschaft erleben werden.

24 der 27 Islas del Rosario sind in Privatbesitz, an denen wir an Bord der Francesca Prince vorbeisausen. Eine davon gehörte einst Pablo Escobar, jetzt fliegt gerade ein riesiger Schwarm großer Vögel darüber umher. Alle Ansagen unserer Bootsjungs sind in karibisch-kolumbianischen Spanisch, was selbst ihre Mitbürger aus der Hauptstadt kaum verstehen, geschweige denn französische Touris, die noch dazu so gut wie kein Englisch sprechen. Nach einer Reihe witziger Missverständnisse ist in der Nähe der winzigen Isla de San Martín de Pajaroles endlich Schnorcheln angesagt. Zu unserer Enttäuschung sind die Korallen verblichen und versandet und die Sicht so naja. Es sind kaum Fische zu sehen und obwohl wir beide unsere Schnorchel austauschen, sind sie immer noch undicht. Als unser Schnorchel-Guide die Fische anfüttert, sind wir auf einmal von riesigen Schwärmen bunter Papageienfische umgeben, die Anna zweimal neugierig anknabbern. Schockierend finden wir, dass auch Nichtschwimmer mit schnorcheln, die an Rettungsringen hängen und auf den Korallen stehen. Nach Aussage der Guides dürfen auch Nichtschwimmer explizit mitmachen, da man überall stehen könne. Leider scheint hier Geldmacherei über Umweltschutz und Sicherheit gestellt zu werden, weshalb wir von diesen Ausflügen zu den Islas del Rosario nur abraten können.

Weißer Sand und türkises Wasser – von ihren natürlichen Gegebenheiten her ist die Playa Blanca auf der Halbinsel Barú ein Postkartenstrand. Oder war dies zumindest, bis sie Unmengen von Touristen anzog, die wiederum ganze Horden von Strandverkäufern mit allerlei geldeinbringender Schnick-Schnack-Infrastruktur mit sich brachten. Der Strand ist so zugebaut mit Liegen, Schirmen, Restaurants, Ständen und voller Menschen, dass eine Frau ganz aufgelöst und verzweifelt ihren kleinen Sohn sucht, den sie vor lauter Gewimmel aus den Augen verloren hat. Zum Glück finden sich die beiden wieder. Alle zehn Sekunden möchte uns jemand etwas verkaufen - Seepferdchen-Bürsten, Massagen, Obstsalate, Fußkettchen, Cocadas … Entspannung? Fehlanzeige. Immerhin schmeckt die Coco Loco köstlich, die wir uns hier gönnen. Dieser Karibik-Klassiker bezeichnet eine mit Rum versetzte “verrückte Kokosnuss” und passt buchstäblich ausgezeichnet hierhin. Ansonsten sind wir froh, als wir die Massenveranstaltung wieder verlassen können. Auf der Rückfahrt durch die Bahía de Cartagena springt die Francesca Prince meterhoch und -weit über die inzwischen riesigen Wellen – die reinste Achterbahnfahrt.

Wer es sich leisten kann, wohnt in Cartagena im Viertel Boca Grande, wo ganze Reihen moderner Hochhäuser die Küste säumen. Während wir die koloniale Altstadt viel charmanter finden, sind die Einheimischen hier offenbar mächtig stolz auf die hohen Betonbauten mit ihren Fensterfronten. In seinem Auto kutschiert uns Joe durch das abendlich beleuchtete Boca Grande, bevor wir uns Arepas an der Uferpromenade gönnen. Joe ist ein Freundesfreund, den Annas Freundin Lena vor einigen Jahren in Spanien kennen gelernt hat. Als Entrepreneur hat er bereits mehrere Unternehmungen gegründet und konzipiert gerade integrierte Mobilitätslösungen für den kolumbianischen Tourismussektor. So diskutieren wir einen inspirierenden Abend lang seine und unsere Geschäftsideen, während beleuchtete Bötchen im Hafenbecken herumtuckern.

“Oh Lá Lá”. Hier wird kolumbianische Traditionsküche der mit der Raffinesse französischer Kochkunst kombiniert. Carolina weiht uns in einem grandiosen Kochkurs in die Rezepte ihrer Familie ein. Sie stammt aus Cartagena und hat zwölf Jahre in Paris gelebt, wo sie ihre Liebe zum Kochen entdeckte. Wir lernen eine ganze Reihe vegetarischer Gerichte kochen, die wir aus marktfrischen Zutaten zaubern, während wir neue Schneide- und Zubereitungstechniken kennen lernen und uns sehr nett mit Carolina unterhalten. Unser Kochkurs findet im Restaurant Oh Lá Lá selbst statt, wo eine familiäre Wohnzimmer-Atmosphäre herrscht. Viele der europäischen Gäste sind mit Carolina und ihrem französischen Mann befreundet und kommen interessiert an unseren Tisch.

Schließlich ist alles bereit für das Déjeuner Colombien. Als Vorspeise gibt es allerlei Frittiertes: Patacones (zerdrückte Kochbananen), Bananenchips, Carimañolas aus Maniok, Arepas aus dunklem Bio-Mais, dazu eine Tomaten-Zwiebel-Sauce namens Hogao, außerdem Mango-Ceviche mit dem sogenannten Tiger Milk Dressing aus Limettensaft, Chili und Zwiebeln. Das Hauptgericht ist Ñame-Suppe aus Yam-Knollen mit Queso Costeño und Hogao, dazu Kokosnuss-Reis mit Karamell. Gekrönt wird das ganze von Enyucado (Maniokkuchen-Muffins) und Kokos-Macarons mit Maracuja-Soße und weißer Schokolade. Oh Lá Lá!

Am nächsten Morgen fahren wir mit Carolina und Carlos nochmal durchs moderne Boca Grande. Eigentlich waren wir verabredet, um den Markt zu erkunden, aber da die weitere Teilnehmerin erst später kann, überbrücken wir die Zeit mit einem Frühstück bei Brioche. Hier ist die Küche nicht so fein wie bei Oh Lá Lá – Carlos bekommt zu seinen Pan Cakes Steaksoße serviert. Er ist ein Freund von Carolina und möchte sich einen Eindruck von dem Markt verschaffen. Carlos stammt aus Bogotá und lebt bereits seit über zwölf Jahren in Cartagena, wobei er immer noch Schwierigkeiten habe, den karibischen Akzent zu verstehen. Carolina scheint die hier einkehrende High Society bestens zu kennen und stellt uns (Landschafts-)Architekten und die Besitzer diverser Restaurants und Inseln vor. Dann ist es Zeit, die Taiwanesin Tina abzuholen. Die Frührentnerin strotzt vor Energie und verbringt einen großen Teil ihrer Zeit mit Reisen um die Welt. So war sie als eine von bislang nur 10.000 Touristen mit einem Eisbrecher am Nordpol. Und zeigt uns Fotos, wie sie dort im minus ein Grad kalten Wasser geschwommen ist. Wahnsinn!

Dreck, Unrat und Fliegen überall. Carolina hat vom Mercado Bazurto nicht zu viel versprochen. Draußen wird fangfrischer Fisch feilgeboten, drinnen Obst, Gemüse und Gewürze. Hier ist es noch schwüler und heißer als ohnehin schon. 36 Grad mindestens. Carlos ist das zweite und letzte Mal auf dem Markt. Die afrokolumbianischen Marktschreier klingen laut und grob, während Carolina charmant mit ihnen verhandelt und große Mengen Obst und Gemüse für das Restaurant einkauft. Unser Einkaufshelfer schiebt den improvisierten Einkaufswagen und soll darauf achten, dass nur schöne Tomaten eingepackt werden. Wir erstehen ein paar Zapotes und Cherimoyas. Und dann schnell wieder ins klimatisierte Auto.

Das Castillo den San Felipe de Barajas bietet einen weiten Blick über Cartagenas Altstadt, die Hochhäuser von Boca del Mar und das Meer. Wir laufen durch steile Tunnels mit erfrischendem Luftzug, hören Trompeter und sehen Türmchen und Kanonen. Ansonsten gibt es hier viel freie Fläche und Sonne pur. Romantischer ist da der Sonnenuntergang an der Stadtmauer im Café del Mar mit Blick aufs Meer und einer Coco-Limonade. Alle schauen gebannt auf die Leinwand, als Kolumbien gegen Gastland Quatar beim Copa Americana spielt. Dann Jubelschreie. “¡Gol!”

Und hier noch ein paar weitere Impressionen: