Wie zur Begrüßung hält Bogotá auch zur Verabschiedung jede Menge Staus bereit. Für 50 Kilometer Busfahrt brauchen wir fast zwei Stunden und merken ein weiteres Mal, wie riesig die Metropole ist. Kurz vor Granada lässt uns der Busfahrer raus und ein Schild sagt uns, dass sich hinter der Mauer das Varsana Eco Yoga Aldea verbirgt. Auf der Bio-Farm wollen wir eine Woche als Freiwillige unterstützen und den Yogaunterricht besuchen. Soweit der Plan.

Verschnörkelte Gebäude, exotisch blühende Pflanzen, ein gepflegter Gemüsegarten und indisch anmutende Tempelchen empfangen uns. Ein paar Leute in weiten Kleidern spazieren über das Gelände, aber es ist niemand da, um uns zu empfangen. Wir stehen ein Weilchen herum, bis jemand uns ins Gästehaus führt. Es riecht muffig und steht voller Hochbetten, auch das Eingangszimmer. Wir bekommen einen Schlüssel, den wir uns mit einem weiteren Voluntario teilen sollen. Kurz darauf lernen wir Marco aus Italien kennen, der Halb-Amerikaner ist und gerade das Freshman Year seines Studiums in New York abgeschlossen hat. Er ist seit zwei Wochen als Freiwilliger hier und wirkt ziemlich begeistert, aber auch etwas verstimmt, da am Vortag sein Rucksack gestohlen wurde. Wir entschließen, unsere Wertsachen fürs erste ständig mit uns herumzutragen.

Eine ältere Dame mit indischer Gesichtsbemalung serviert uns im Restaurant vor Ort Tamales und ein Müsli-Schoko-Küchlein. Wir erfahren, dass alle hier angebotenen Speisen vegetarisch oder vegan sind – und dass Varsana zur Hare Krishna Community gehört. Moment mal, das hätten sie doch auf der Website geschrieben!? Nein, niemand der Voluntarios wisse vorher Bescheid, meint Marco. Das sei wohl Absicht, weil es sonst abschrecken könnte. Allerdings... Auf der Volunteering Plattform war von einem „Eco Yoga Village“ der Rede und bei Google Maps ist als Kategorie „Themenpark“ angegeben. Tatsächlich handelt es sich um ein Hare Krishna Kloster. Wir widerstehen dem Impuls, sofort wieder abzureisen und wollen dem Ganzen eine Chance geben. Nachts finden wir jedoch kaum Schlaf. Es ist kalt und zugig, die Matratzen sind durchgelegen und die angrenzen Fernstraße sorgt für eine kontinuierliche, dröhnende Beschallung...

Morgens werden wir von Sonnenschein und einem leckeren Frühstück entschädigt: es gibt Kartoffelsuppe, Arepas (Maisküchlein) und heiße Schokolade. „Hare Krishna“ grüßen einige Mitglieder der Community - spätestens jetzt hätten wir Bescheid gewusst. Die Koordinatorin Premi heißt uns willkommen und erklärt uns grob den Tagesablauf. Wir erfahren, dass morgens ab 4 Uhr schon Meditationssitzungen und eine Vorlesung zur Hare Krishna Philosophie stattgefunden haben. Seltsam, dass es keinen Zeitplan wie im Bodhinyana Kloster oder im Nilambe Meditation Centre gibt und alle Angaben recht vage klingen.

Jedenfalls steht jetzt die tägliche Freiwilligenarbeit an. Max und Marco helfen dem Gärtner im Gemüsegarten, Unkraut zwischen den Salatköpfen zu rupfen. Anna unterstützt Bhakti in der Küche, wo es riesige Töpfe vom Vortag zu spülen und Berge von Gemüse fürs Mittagessen zu schnippeln gibt. Die liebenswerte Bhakti lebt mit ihren Söhnen in Granada und praktiziert den Hare Krishna Glauben, allerdings nicht als Nonne des Klosters. Von ihr erfahren wir, dass es das Varsana Kloster seit 36 Jahren gibt und es weltweit eines der größten und bedeutsamsten außerhalb Indiens ist. Im August findet jährlich das größte religiöse Fest statt, bei dem über tausend Gäste bewirtet werden und tagelang fast rund um die Uhr gekocht wird. Heute kochen wir für „nur“ 23 Leute ein veganes Mittagessen. Es gibt Zucchini-Curry, Gemüsereis und Möhren-Rote-Beete-Salat. Von Bhakti erfährt Anna auch das Geheimnis hinter dem leckeren Frühstück: die Maiskuchen enthalten Mandelschrot und die heiße Schoki Zimt und Nelken.

Als wir das Gelände näher inspizieren, stellen wir fest, dass das eigentliche Casa de Voluntarios viel netter ist als das muffige Gästehaus. Hier gibt es einen Aufenthaltsraum mit Sitzmöglichkeiten, WLAN und hellere Zimmer mit frischerer Luft. Zurzeit ist niemand hier untergebracht, da es ebenfalls zu Diebstählen kam und gerade die Schlösser ausgetauscht worden sind. Zuvor war wohl eine Vielzahl von Schlüsseln ausgegeben worden, die nicht alle zurückkamen. Was offenbar niemand bemerkt hat… Wenn wir schon unsere Wertsachen mit uns herumtragen, können wir auch hier wohnen. Wir machen uns auf die Suche nach Premi. Sie ist nach wie vor schwer zu erreichen und lässt uns über eine Dritte Informationen und über eine Vierte den Schlüssel fürs Casa de Voluntarios zukommen. Es nervt langsam, dass die Hare Krishna Leute so verpeilt und unorganisiert sind und irgendwie keine Verantwortung übernehmen wollen.

Wir wollen gerade umziehen, da wird bei uns ein neuer Voluntario ohne weitere Instruktion abgeliefert. Faustin kommt aus Frankreich und hat ein freiwilliges soziales Jahr in Berlin gemacht, weshalb er Deutsch spricht, aber so gut wie kein Englisch oder Spanisch. Mutig von ihm, so durch Kolumbien zu reisen. Also sprechen wir mit ihm Deutsch, mit Marco Englisch und mit Francisco (einem Besucher aus Bogotá) Spanisch. Nach all dem Chaos folgt wieder eine Entschädigung: der Yogaunterricht ist grandios. Unsere Lehrerin Gopal ist mit Leidenschaft bei der Sache und nach zwei Stunden fortgeschrittenen Asanas ist uns trotz der Kälte wohlig warm.

Es folgt eine weitere Nacht mit wenig Schlaf. Im Casa de Voluntarios ist der Autolärm zwar leiser, dafür mauzen Katzen laut ums Haus herum, es ist zugig - und eisig kalt. Um 5 Uhr morgens begeben wir uns zur stillen Meditation in den Tempel (die davor stattfindende Hare Krishna Meditaion mit Gesang und Tanz schenken wir uns). Still ist die Meditation allerdings nicht – der Straßenlärm, Geflüster, Umhergelaufe und Tür-Offen-Stehen-Lassen der Klosterbewohner sorgen für Ablenkung, Zugluft und Kälte. Es folgt die Vorlesung, in der ein Älterer der Gemeinde auf Spanisch das Konzept des hier praktizierten Bhakti Yoga erklärt, bei dem es um die Entwicklung der Liebe zu Gott geht. Im Grunde ist seine Message, dass der materialistische Alltag unserer modernen Gesellschaft vom Göttlichen in uns und damit vom wirklich Wichtigen ablenke.

Bhakti hat wieder ein tolles Frühstück aufgetischt: Bananen-Papaya-Obstsalat mit geröstetem Granola und einem schleimigen Maisgetränk. Wir entscheiden uns, vorzeitig abzureisen, weil uns der Aufenthalt mehr nimmt als er uns gibt. Vor allem die schlaflosen Nächte, die Kälte, der andauernde Verkehrslärm und das Organisationschaos entsprechen nicht unseren Erwartungen und das Lernpotential über Permakultur bei der Gartenarbeit hält sich in Grenzen, wenn auch der Yogaunterricht und die veganen Gerichte großartig sind. Aus einer Woche werden so anderthalb Tage, nach denen wir an der Straße einen Bus anhalten und Richtung Westen weiterziehen.
