Camagüey Provinz – schräge Vögel und gerade Kirchen

Kuba
Je näher wir der Sierra del Chorilla kommen, desto abenteuerlicher wird die Fahrt. Riesige Schlaglöcher, spitze Steine, große Hubbel und heranrasende Pferdekutschen fordern unseren Jimny heraus, der das Ganze gelassen über sich ergehen lässt. Schilder gibt es keine am Wegesrand, stattdessen sind im und um das Dörfchen Najasa Schmetterlinge, Fohlen und spielende Kinder unterwegs.


Pampig meint die Señora an der Schranke, sie könne die Kopien unserer Pässe nicht entziffern und lässt uns schließlich ohne die allerorts obligatorische Daten-Dokumentation weiterziehen. In der Hacienda La Belén bekommen wir ein kubanisches Mittagessen und einen Guide als Wanderbegleitung. Jorge reicht uns sein riesiges Fernglas, durch das wir Tocororos, blaue Fischreiher und grüne Spechte beobachten. Die hiesigen Krähen bringen einen Gameboy-ähnlichen Gesang zustande.


Mindestens so begeistert wie von den Vögeln ist Jorge von der nahegelegenen Pferdezucht. Der Züchter erklärt uns den Essensplan der Zuchthengste, der überraschenderweise Milch und Honig umfasst. Eines der schönsten Tiere wurde bei einem landesweiten Wettbewerb schon dreimal als kubanischer Meister ausgezeichnet - ein Pferde-Promi quasi. Der hellblaue Himmel bekommt inzwischen Konkurrenz von dunkelgrauen Wolken, die sich hinter dem satten Grün der Palmen und Bäume abzeichnen. Zeit also weiterzufahren, bevor die Wege zu schlammig werden...


Rafael führt genau Buch über die Nationalität der Gäste in seinem Casa Los Vitrales. Franzosen führen die Statistik an, dicht gefolgt von Deutschen und Niederländern. Da es in Camagüey von Schleppern mit eigener Agenda wimmelt, erreichen allerdings nicht alle seine Gäste tatsächlich sein Casa, sondern werden ab und zu bei anderen Pseudo-Rafaels abgesetzt. Der echte Rafael ist Architekt, was man an der ausgefuchsten Beleuchtung und besonderen Gestaltung des Badezimmers erkennen kann. Wer für ihn ein Held ist, kann man am Namen seines kleinen Sohnes erkennen (Ernesto), der neben dem Brunnen im Innenhof spielt und keinerlei Scheu gegenüber uns Gästen zeigt.


Die Plaza del Carmen erinnert uns an Kroatien mit ihren pastellfarbenen Gebäuden und den Straßencafés. Wie im Geburtshaus des Schriftstellers Nicolás Guillén stehen auch hier große Tonkrüge (tinajones), in denen früher das Regenwasser in der trockenen Camagüey-Provinz gesammelt wurde. Nebenan sehen wir in der Kunstgalerie von Martha Jiménez Pérez interessante Kunstwerke, wobei ihr Lieblingsmotiv dicke Frauen und Fische sind. Im Restaurante El Paso genießen wir ein delikates Dessert namens Pan Patato aus Maniok, Kokosnuss und Honig. Die Gässchen von Camagüey winden sich labyrinthartig durch die Altstadt, wodurch man einer Theorie zufolge Angreifer verwirren wollte. Vom Glockenturm der Kathedrale aus haben wir einen Blick über die ganze Stadt mit ihren roten Ziegeldächern und den Kirchtürmen in den verschiedensten Stilen – Gotik, Barrock, Neoklassik – in allen Himmelsrichtungen, an denen wir zuvor vorbei spaziert sind.


Unser Taxifahrer hat Recht behalten, der Bus nach Havanna fährt nicht nach Plan um 13:50 Uhr ab. Eher so gegen 14:50 Uhr. Gut, dass wir uns auf dem Mercado Agropecuario Hatibonico mit Obst und zuckrigen Erdnussriegeln eingedeckt haben. Erst zieht Kubas saftige Landschaft an uns vorbei – Palmen, Wiesen, grasende Kühe -, dann ein Sonnenuntergang, der das ganze Farbspektrum ausschöpft. Unsere beiden Busfahrer halten immer mal wieder an, um sich einen Espresso bringen zu lassen oder endlos lange Zwiebelketten an einem Gemüsestand zu kaufen. Ob sie nebenbei als Vampirjäger tätig sind oder einen kubaweiten Zwiebelhandel betreiben, wir wissen es nicht. Jedenfalls legen wir so in 8,5 Stunden Busfahrt die knapp 450 Kilometer nach Havanna zurück.


Gegen Mitternacht gelingt es uns am Busterminal erst nach einer Weile, ein Taxi zu bekommen. Schließlich dürfen wir bei jemandem durch die Hecktür in eine Art Kastenwagen einsteigen. Zum Glück ist Leo im Casa Las Terrazas noch wach. Sie erzählt uns, dass ihre Gäste aus Kanada meistens erst gegen drei Uhr nachts anreisen. Die Arme. Morgens pfeifen wir nochmal ein Ründchen mit dem namenlosen Wellensittich, der diesmal die Marseillaise trällert. Dann heißt es auch schon ¡Adiós Kuba!


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